»Wir müssen von dem Gedanken wegkommen, dass gebrauchte Geräte Abfall sind.« - Wie sich Europas größtes gemeinnütziges IT-Unternehmen für eine Recycle-Wirtschaft einsetzt

Gebrauchte IT-Geräte mit gutem Gefühl und ohne Risiko kaufen? Die IT-Hardware-Industrie gehört mit ihrer aufwändigen und ressourcenschluckenden Produktion mittlerweile zu den größten Umweltsündern weltweit. Dass dies auch nachhaltiger und sozialer geht, zeigt die AfB gGmbh, die sich als Inklusionsunternehmen und IT-Refurbishing-Dienstleister einer Recycling-Wirtschaft verschrieben hat. Wie genau sich die AfB gGmbH für mehr ökologische Nachhaltigkeit und Diversity einsetzt, erfährst du in unserem Interview.
Foto©: AfB gGmbH//Studio Hirschmeier
von Robert Franzen, 29. Mai 2020 um 09:12

Antwortgeber*innen:

Daniel Büchle, Geschäftsführer
Yvonne Cvilak, Geschäftsführerin
Carsten Huck, Bereichsleiter Sales
Fiona Jäger, Umweltmanagerin



Die AfB gGmbH ist ein gemeinnütziges Unternehmen im Bereich der IT. Wie genau sieht euer (wirtschaftliches) Konzept aus und wie setzt ihr den gemeinnützigen Aspekt um?

Daniel Büchle: AfB ist sogar Europas größtes gemeinnütziges IT-Unternehmen. Wir übernehmen nicht mehr benötigte IT-  und Mobilgeräte von Unternehmen, Banken, Versicherungen und öffentlichen Einrichtungen, um sie nach der zertifizierten Datenvernichtung zu »refurbishen«, d.h. aufzurüsten und inkl. neuer Software und mindestens 12 Monaten Garantie wieder zu vermarkten.

Für jeden IT-Dienstleister steht Datensicherheit an oberster Stelle. Wir bieten daher einen hochprofessionellen zertifizierten Service an. Doch gleichzeitig sind wir ein sogenanntes »Social Enterprise«, d.h. ein Sozialunternehmen, das auf unternehmerische Weise gesellschaftliche Probleme löst. Was AfB nämlich von anderen Refurbishern unterscheidet, ist, dass bei uns alle Prozessschritte barrierefrei gestaltet sind. Fast die Hälfte unserer 450 Mitarbeiter sind Menschen mit Behinderung. Daher ist AfB ein sogenanntes »Inklusionsunternehmen« nach SGB IX und als solches gemeinnützig.


IT und Nachhaltigkeit bzw. soziales Wirtschaften sind zwei Begriffe, die man auf Anhieb vielleicht nicht direkt in Zusammenhang bringen würde. Wie seid ihr darauf gekommen, euer Unternehmen gemeinnützig auszurichten und wie lassen sich die wirtschaftlichen und die nachhaltig verantwortungsvollen Interessen am besten vereinen?

Yvonne Cvilak: AfB steht für »Arbeit für Menschen mit Behinderung«. Dass es dazu kam, war ein glücklicher Zufall. Mein Vater suchte 2004 nach Möglichkeiten für den Umgang mit Hardware nach dem Leasing-Ende. Gemeinsam mit einer Werkstatt für psychisch behinderte Menschen, die zufällig gegenüber seiner IT-Asset-Management-Firma lag, entwickelte er ein Testszenario für die Aufarbeitung der Geräte. Die Frage lautete damals: Können Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen erfolgreiche Arbeit in der IT-Branche leisten? Und die Antwort lautet damals wie heute: Ja.

Unser IT-Remarketing-Konzept steht im Grunde auf drei Säulen: Ökologie, Soziales und Ökonomie. IT-Remarketing schont Klima und Umwelt, Rohstoffabbau und Treibhausgasemissionen werden signifikant reduziert. Wenn wir wirtschaftlich erfolgreich arbeiten, können wir expandieren und damit noch mehr Arbeitsplätze schaffen. Unser Ziel sind 500 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung.


Welche Vor- bzw. Nachteile seht ihr in dem Ansatz, Gewinnorientierung mit einem gemeinwohlorientierten Unternehmenszweck zu verbinden?

Daniel: Sozialunternehmen wie wir weisen sowohl Eigenschaften der kommerziellen Wirtschaft als auch der Sozialwirtschaft auf. Selbstverständlich müssen wir wirtschaftlich handeln, um das Unternehmen langfristig stabil aufzustellen. Wir haben uns auf Datenvernichtung, Aufarbeitung und Verkauf von ausgemusterten Computern spezialisiert. Aber als »Social Enterprise« gehen wir anders mit unseren Überschüssen um, denn diese werden direkt ins Unternehmen, z.B. in den Aufbau neuer oder die Erweiterung bisheriger Standorte reinvestiert. Der wirtschaftliche Erfolg der AfB führt daher automatisch zu Wachstum und so zu mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt und zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit in der IT-Branche.



Eine Recycling-Wirtschaft, die ja u.a. auch in eurem Betrieb umgesetzt wird, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren Welt. Welche Anreize oder Impulse müssten eurer Meinung nach geschaffen werden, damit sich mehr Unternehmen diesem Vorhaben widmen? 

Fiona Jäger: Wir müssen von dem Gedanken wegkommen, dass gebrauchte Geräte Abfall sind. Unsere Gesellschaft denkt sehr linear als Einweg- und Wegwerfgesellschaft. Wir müssen zirkulärer werden. Für jeden Computer, den ich runderneuern und nochmal verwenden kann, müssen keine Rohstoffe abgebaut und um die halbe Welt transportiert werden. Außerdem ist der CO2-Ausstoß bei der Produktion von IT-Hardware am höchsten und relativiert sich erst in der Nutzungszeit. Eine möglichst lange Nutzungsdauer ist daher erstrebenswert.

Dennoch unterstützt die Rechtsprechung in vielen Punkten den Wegwerfgedanken. Die Vernichtung von Daten in gebrauchten Geräten wird schnell mit der Behandlung von Abfall gleichgesetzt. Dabei sind die Geräte häufig technisch in einwandfreiem Zustand. Aber solange einer einfachen Wiederverwendung Steine in den Weg gelegt werden, schreckt das viele Marktteilnehmer*innen ab.
 

Foto©: AfB gGmbH // Thomas Brenner Photographie

 

Ein wichtiger Geschäftszweig von AfB ist der Verkauf von sog. »refurbished« Hardware, also Geräte aus zweiter Hand. Gerade bei teuren, komplexen Geräten wie z.B. Notebooks ist bei vielen Kund*innen die Hemmschwelle, etwas Gebrauchtes zu kaufen, besonders hoch. Wie gewinnen Sie diesbzgl. das Vertrauen Ihrer Kund*innen?

Carsten Huck: Seit 2012 erfüllt AfB die strengen Richtlinien als »Microsoft Authorised Refurbisher« (MAR) und gehört zu den Top 3 Lizenzabnehmern in Deutschland. Unsere Kund*innen können sich darauf verlassen, dass alle durch uns aufbereiteten Produkte strenge Testrichtlinien durchlaufen müssen, bevor sie über unsere Vertriebskanäle zum Verkauf freigegeben werden.

Wir bieten daher auf alle refurbished Geräte mindestens 12 Monate Garantie, was über die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche hinausgeht, und ermöglichen unseren Kund*innen, die Garantie auf 36 Monate zu erweitern. Natürlich verbessern wir auch unsere Angebotsvorlagen z.B. im Onlineshop ständig weiter.

Viele unserer Kund*innen kommen ganz gezielt zu AfB, weil sie die persönliche Beratung durch unsere Kolleg*innen in den Shops schätzen. Und wir haben einen ausgezeichneten Kundenservice, der sich auch nach einem Kauf um Fragen kümmert.


Wie sieht es mit der technischen Ebene aus? Mit welchen Maßnahmen können Unternehmen Ihre IT-Infrastruktur ökologisch nachhaltiger und energiesparender ausrichten? Worauf sollte man beim Kauf von Hardware oder der Auswahl von Software besonders achten?

Daniel: Bei der Beschaffung muss jedes Unternehmen für sich entscheiden, welche Geräte für die betrieblichen Anforderungen notwendig sind. Umweltsiegel können helfen, ebenso die Bevorzugung von Herstellern, die bei ihren Produktionsketten auf die Einhaltung der Menschenrechte achten. Das Unternehmen kann zudem die eigenen Mitarbeiter*innen sensibilisieren, die Nutzung nachhaltig zu gestalten, wie z.B. Standby-Modi zu aktivieren und den Rechner abends auszuschalten.

Zur nachhaltigen Verwertung gehört die Möglichkeit der erneuten Wertschöpfung durch Refurbishment. Wenn die Mitarbeiter*innen sorgfältig mit den ihnen anvertrauten Geräten umgehen, ist es nach bis zu 6 Jahren firmeninterner Nutzung ökologisch sinnvoll, aber auch durchaus rentabel, in Datenvernichtung, Aufarbeitung und Remarketing zu investieren. Unternehmen, die hierfür mit AfB kooperieren, fördern außerdem Inklusion auf dem Arbeitsmarkt.


Viele Unternehmen schreiben in Stellenanzeigen zwar gerne, dass Bewerber*innen mit Behinderungen erwünscht sind, in der praktischen Umsetzung gestaltet sich das aber oft schwieriger als geplant. Wie fördern Sie Inklusion in ihrem Unternehmen und welche Tipps haben sie eventuell für die Umsetzung solcher Maßnahmen in anderen Unternehmen?

Yvonne: Wir arbeiten in gemischten Teams, Menschen ohne und mit Behinderung und mit ganz unterschiedlichen Krankheitsbildern wie Herzkrankheiten, Amputationen, Sinnesbeeinträchtigungen, psychische Behinderungen etc. Dazu müssen Strukturen geschaffen werden wie barrierefreie und behinderungsgerechte Arbeitsplätze und Prozessschritte, aber auch Sensibilisierungsmaßnahmen durch die Betriebssozialarbeiter*innen und die Schwerbehindertenvertretung.

Unser Ziel ist die Schaffung von 500 Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung. Als Wirtschaftsunternehmen können wir keine Betreuungsarbeit leisten wie eine Werkstatt für behinderte Menschen. Aber wir stellen die arbeitsbegleitende Betreuung sicher und bieten Strukturen, in denen sich die Kolleg*innen zurechtfinden und ihre Stärken leben können. Das ist oft der Schlüssel: Dass zu viel auf Schwächen geschaut wird, also auf das, was ein Mensch nicht kann, anstatt das zu finden, was er kann und was ihn interessiert und ihm dann die Möglichkeit zu bieten, seine Stärken zu entfalten. Das gilt übrigens für alle Menschen, mit und ohne Behinderung.   


Welche Karrieremöglichkeiten bietet die AfB Group für Interessierte an und auf welche Kriterien legen Sie bei potentiellen Auszubildenden und/oder Arbeitnehmenden besonders viel Wert?

Yvonne: Wir bieten unterschiedliche Karriere- und Einstiegsmöglichkeiten an für Werkstudent*innen, Azubis, Young Professionals, Quereinsteiger*innen und Berufserfahrene. Wichtig ist die Motivation. Alle, die Lust haben, ein nachhaltiges IT-Unternehmen mit weiterzuentwickeln, egal ob mit oder ohne Behinderung, sind bei AfB richtig.


Und zum Schluss: Welche Vision habt ihr für eine nachhaltigere IT-Wirtschaft und wie würdet ihr diese umsetzten?

Daniel: Viele Rohstoffe sind endlich. Wir müssen den Einweg-Gedanken hinter uns lassen, weg von »take-use-waste« hin zur Kreislaufwirtschaft, zur »circular economy«. Nachhaltig produzieren, nachhaltig nutzen, nachhaltig verwerten. Rohstoffe recyceln. Reparatur ermöglichen. Weniger Sollbruchstellen, mehr Möglichkeiten zur Auf- und Nachrüstung. Das betrifft nicht nur die IT-Wirtschaft, sondern die Wirtschaft ganz allgemein. Aber die IT natürlich besonders, da hier die Umweltprobleme und die sozialen Probleme in der Lieferkette enorm sind. Unsere Vision als AfB ist es, einen Beitrag zu mehr Zirkularität zu leisten. Das schaffen wir aber nur gemeinsam mit unseren Partnern, die uns ihre nicht mehr benötigte IT-Geräte übergeben. Deswegen suchen wir ständig neue Unternehmen und öffentliche Einrichtungen, die mit uns diesen nachhaltigen Weg gehen möchten.  


Foto©: AfB group


Auf dem Bild zu sehen von links nach rechts: Geschäftsführer Daniel Büchle, Umweltmanagerin Fiona Jäger, Geschäftsführerin Yvonne Cvilak. Es fehlt: Carsten Huck, Head of e-Commerce Europe.


Wenn du mehr über die AfB gGmbh erfahren möchtest, dann schau gerne auf der Internetseite des Unternehmens vorbei. 


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