Statt KI-Anschreiben: Wie erhalte ich einen authentischen Eindruck von Bewerber:innen?

Das klassische Anschreiben war lange ein zentrales Element im Bewerbungsprozess. Motivation, Persönlichkeit, kulturelle Passung – all das sollte sich auf einer Seite Text ablesen lassen. Spätestens seit ChatGPT & Co gerät dies jedoch massiv ins Wanken. Was sagt ein klassisches Bewerbungsanschreiben heute eigentlich noch über eine:n Kandidat:in aus. Dieser Artikel beleuchtet, warum Anschreiben als Instrument an Aussagekraft verlieren, welche Alternativen besser geeignet sind, um einen authentischen Eindruck zu gewinnen – und warum ein differenzierter Blick auf KI-Unterstützung dennoch sinnvoll ist.

von Charlotte Clarke, 30. Dezember 2025 um 16:15
Foto von Getty Images auf Unsplash

Hat das klassische Bewerbungsanschreiben ausgedient?

Anschreiben waren schon immer stark normiert. Bestimmte Floskeln, ein formalisierter Aufbau und implizite Erwartungen prägten das Format. KI verstärkt genau diese Tendenz.

Heute können Bewerber:innen innerhalb weniger Sekunden ein formal perfektes, sprachlich sauberes und passgenau formuliertes Anschreiben erzeugen lassen – unabhängig von Schreibkompetenz, Motivation oder tatsächlicher Auseinandersetzung mit der Stelle.

Das zentrale Problem dabei ist weniger die Nutzung von KI an sich, sondern der Verlust der Signalwirkung:

  • sprachliche Qualität sagt kaum noch etwas über die Kommunikationsfähigkeiten aus
  • „individuelle“ Bezüge zur Stelle sind technisch leicht reproduzierbar
  • Motivationsbekundungen lassen sich generisch simulieren

Was früher zumindest Hinweise auf Denkweise, Ausdruck oder Engagement geben konnte, wird zunehmend zu einem austauschbaren Artefakt.

Das könnte dich interessieren:
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Täglich neue Jobs aus Nachhaltigkeit, Soziales und Umwelt. Jetzt für kostenlosen Job-Alert anmelden.

Woran sich KI-generierte Anschreiben erkennen lassen

Auch wenn KI-Texte immer besser werden, berichten viele Recruiter:innen von wiederkehrenden Mustern:

  • sehr glatte, konfliktfreie Sprache ohne Ecken oder klare Haltung
  • auffällig allgemeine Motivation („Ihre Werte haben mich besonders angesprochen“)
  • fehlende konkrete Beispiele aus dem eigenen Handeln
  • formelhafte Übergänge und standardisierte Satzlogik
  • inhaltlich korrekte, aber überraschend nichtssagende Aussagen
  • identische Textstrukturen über viele Bewerbungen hinweg

Wichtig: Keines dieser Merkmale ist ein endgültiger Beweis. Auch menschlich geschriebene Anschreiben können sehr "glatt" klingen. Umgekehrt können KI-unterstützte Texte sehr individuell sein. Genau darin liegt die Krux.

Foto von Getty Images auf Unsplash

Der Nutzen von Anschreiben – schon vor KI umstritten

Die aktuelle Debatte rund um KI-Anschreiben erweckt teilweise den Eindruck, als sei das Problem erst mit dem Aufkommen neuer digitaler Technologien entstanden. Tatsächlich stand das Anschreiben jedoch schon lange vor dem Aufkommen generativer KI unter grundsätzlicher Kritik. KI wirkt eher wie ein Brennglas, das bestehende Schwächen sichtbar macht.

1. Geringe Prognosekraft für berufliche Leistung

Einer der zentralen Kritikpunkte: Anschreiben sagen wenig darüber aus, wie gut eine Person ihre zukünftige Arbeit erledigen wird.

  • Schreibstil korreliert kaum mit fachlicher Kompetenz
  • Motivation lässt sich gut formulieren, unabhängig von ihrer tatsächlichen Ausprägung
  • Selbstreflexion im Text ist leicht darstellbar, aber schwer überprüfbar

Im Vergleich dazu gelten strukturierte Interviews, Arbeitsproben oder standardisierte Fragen als deutlich aussagekräftiger. Das Anschreiben hingegen nimmt viel Raum ein – bei relativ geringem Erkenntnisgewinn.

2. Anschreiben messen vor allem kulturelles Kapital

Klassische Anschreiben belohnen weniger Eignung als Anpassungsfähigkeit an implizite Erwartungen. Bewerber:innen, die wissen, wie ein „gutes“ Anschreiben klingt, welche Tonalität als professionell gilt und wie Selbstbewusstsein sprachlich dosiert wird, haben einen strukturellen Vorteil. Diese Fähigkeiten werden jedoch häufig außerhalb des eigentlichen Berufs erlernt – etwa durch akademische Sozialisation, Mentoring oder familiären Hintergrund.

Das bedeutet: Anschreiben sind nicht dafür geeignet, berufliche Eignung auf “neutrale” Art zu bestimmen, sondern reproduzieren oftmals soziale Ungleichheiten.

3. Verzerrungen entlang von Herkunft, Sprache und Neurodiversität

Bereits vor KI galt das Anschreiben als besonders problematisch für z.B. Nicht-Muttersprachler:innen, Menschen mit Lese-/Schreibschwierigkeiten, neurodivergente Bewerber:innen oder Quereinsteiger:innen ohne formale Bewerbungsroutine.

Gerade im Nachhaltigkeits- und Sozialsektor, der Diversität häufig explizit als Wert formuliert, steht dieses Format damit in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu den eigenen Ansprüchen.

4. Hoher Aufwand – für beide Seiten

Anschreiben erzeugen einen asymmetrischen Aufwand: Während Bewerber:innen oft mehrere Stunden pro Bewerbung investieren, scannen Recruiter:innen die Texte häufig nur oberflächlich oder gar nicht.

Viele HR-Abteilungen berichten offen, dass Anschreiben im Alltag nur selektiv gelesen werden, hauptsächlich zur formalen Vollständigkeit dienen und eher selten Ausschlag für eine Einladung geben. Der Nutzen steht damit oftmals in keinem angemessenen Verhältnis zum Aufwand.

5. Selbstinszenierung statt Arbeitsrealität

Das Anschreiben zwingt Bewerber:innen in eine künstliche Rolle: reflektiert, hochmotiviert, strategisch denkend, sprachlich souverän. Das Problem dabei:

  • nicht jede gute Fachkraft ist gut in Selbstvermarktung
  • nicht jede ehrliche Einschätzung passt in ein klassisches Anschreiben
  • Ambivalenzen, Lernprozesse oder Zweifel haben dort kaum Platz

Das Format bevorzugt also Menschen, die sich gut darstellen können – nicht zwingend jene, die gut arbeiten.

6. Frühe Vorselektion auf Basis irrelevanter Kriterien

Anschreiben wirken sehr früh im Prozess – oft noch bevor fachliche Eignung oder Potenzial geprüft werden.

Das erhöht das Risiko, dass Kandidat:innen aussortiert werden, ohne je eine Chance auf ein persönliches Kennenlernen zu erhalten, obwohl sie fachlich und/oder menschlich gut gepasst hätten. Beispielsweise mag ein exzellenter Sprachstil in Rollen mit hohen kommunikativen Anforderungen (z.B. Marketing, Consulting, PR oder Advocacy) ein legitimes Kriterium sein  – für die meisten Tätigkeitsfelder jedoch sind andere Qualifikationen, die durch ein Anschreiben nicht vermittelt werden, deutlich relevanter.

Viele Unternehmen haben genau deshalb begonnen, Anschreiben nur optional einzufordern oder ganz zu streichen – lange bevor KI ein Thema war. KI hat diese strukturellen Schwächen also nicht geschaffen. Sie macht sie lediglich offensichtlicher.

In diesem Sinne können wir KI auch als Anlass nutzen, den tatsächlichen Nutzen von Bewerbungsanschreiben ehrlich zu hinterfragen und nach alternativen Formaten zu suchen, die nicht nur fairere Chancen ermöglichen, sondern den Kandidat:innen die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten authentisch darzustellen.

Foto von Kelly Sikkema auf Unsplash

7 Alternativen für authentische Einblicke

Die folgenden Formate werden in der Praxis bereits eingesetzt oder erprobt. Kein Format ist per se „besser“ – entscheidend ist der Kontext. Ziel ist dabei nicht zwingend „mehr Kreativität“, sondern mehr Erkenntnis bei weniger Verzerrung. Wichtig ist dabei: niedrigschwellig, klar strukturiert, fair vergleichbar und mit überschaubarem Aufwand – für beide Seiten.

Im Folgenden werden sieben Formate im Detail erläutert.

1. Kurze, gezielte Reflexionsfrage statt Anschreiben

Statt eines freien Anschreibens beantworten Bewerber:innen drei bis fünf klar formulierte Fragen mit begrenztem Umfang (z. B. max. 600 Zeichen).

Gute Fragen sind auf die spezifische Rolle zugeschnitten und fokussieren sich zudem z.B. auf Lernhaltung und Selbstreflexion, kulturelle Passung, Priorisierung oder Umgang mit Verantwortung und Fehlern. 

Beispiele für Reflexionsfragen:

  • Was hat dein Interesse an genau dieser Rolle geweckt?
  • Welche Erfahrung aus deinem bisherigen Werdegang ist für diese Position besonders relevant?
  • Was würdest du in den ersten 90 Tagen gerne bewegen?
  • Welche Aufgabe oder welches Thema aus der Stellenausschreibung spricht dich am meisten an – und warum?
  • Was möchtest du in deinem nächsten Job unbedingt lernen oder weiterentwickeln?
  • Welche Rahmenbedingungen brauchst du, um langfristig gute Arbeit leisten zu können?
  • Gab es in deinem bisherigen Werdegang eine Entscheidung, aus der du besonders viel gelernt hast?
  • Welche Fähigkeit oder Perspektive bringst du mit, die im Team einen Unterschied machen könnte?
  • Was sollten wir über dich wissen, das aus Lebenslauf und Stationen nicht ersichtlich wird?

Warum das funktioniert

Die Zeichenbegrenzung zwingt zur Priorisierung. Statt rhetorischer Ausführungen entsteht Fokus.

Vorteile

  • geringer Aufwand
  • gute Vergleichbarkeit
  • reduziert Textlängen-Bias (lange Texte werden oft über- bzw. kurze Texte unterschätzt – unabhängig von der Qualität des Inhalts)

Nachteile

  • wenig Raum für komplexe Hintergründe
  • Antworten können weiterhin KI-unterstützt sein

Gut geeignet für u.a.

  • Wissensarbeit
  • Projektrollen
  • Nachhaltigkeits-, ESG- und Kommunikationsfunktionen

Weniger geeignet für

  • stark handwerkliche oder operative Tätigkeiten
  • Rollen, bei denen Arbeitsproben zentral sind

2. Strukturierter Fragebogen

Bei diesem Format beantworten die Bewerber:innen mehrere (ca. 5 bis 10) standardisierte Fragen. In diesem Sinne ähnelt diese Option den oben bereits erwähnten Reflexionsfragen, zielt jedoch eher auf Skalierbarkeit, hohe Vergleichbarkeit und effiziente Auswertung ab. Die Antworten sind kürzer und werden idealerweise über ein Online-Formular eingereicht, was die Auswertung enorm erleichtert. Gleiche Fragen für alle, vergleichbar und fair.

Beispiele für mögliche Fragen:

  • Welche fachlichen Schwerpunkte bringst du aktuell mit?
  • In welchen Aufgabenbereichen hast du relevante praktische Erfahrungen gesammelt?
  • Welches Arbeitsumfeld brauchst du, um gut zu arbeiten?
  • Welche Themen oder Fragestellungen interessieren dich aktuell besonders?
  • Welche Tools oder Methoden nutzt du regelmäßig in deiner Arbeit?
  • Wie würdest du deine Arbeitsweise am ehesten beschreiben?

Warum das funktioniert

Die strukturierten Fragen lenken Aufmerksamkeit gezielt auf Aspekte, die für die Rolle tatsächlich relevant sind, z.B. Arbeitsweise, Erfahrungsschwerpunkte, Werte und Erwartungen oder Lern- und Entwicklungsorientierung. Damit verschiebt sich der Fokus von rhetorischer Selbstvermarktung hin zu arbeitsbezogenen Informationen, was Fairness und Vergleichbarkeit fördern kann. 

Vorteile

  • hohe Objektivität
  • skalierbar
  • gut dokumentierbar
  • strukturierte Informationen
  • hohe Vergleichbarkeit
  • weniger subjektive Gewichtung einzelner Antworten
  • gute Grundlage für Vorauswahl

Nachteile

  • wenig Raum für individuelle, reflektierte Antworten
  • kann mechanisch oder „prüfend“ wirken

Gut geeignet für

  • hohe Bewerberzahlen

Weniger geeignet für

  • sehr individuelle Rollenprofile

3. Mini-Case mit Alltagsbezug

Die Kandidat:innen werden aufgefordert, einen kurze, realistische Arbeitsprobe oder Case Study auszuarbeiten, der eine typische Aufgabe für diese Rolle widerspiegelt. Die erforderliche Arbeitszeit sollte dabei etwa 90 Minuten nicht überschreiten.

Beispiele

  • Design eines groben Konzeptes für eine E-Mail-Kampagne zum Thema erneuerbare Energien (Kommunikation/Marketing)
  • Erstellung eines ersten groben Projektplans für die Einführung eines nachhaltigen Lieferkettenstandards (Projektmanagement)
  • Skizze einer einfachen Social-Media-Strategie zur Mitarbeiter:innen-Aktivierung in CSR-Themen (Kommunikation/HR)
  • Konzeption eines groben Ablaufs für einen Workshop zum Thema Klimaneutralität im Unternehmen (Bildung/Training)
  • Erstellung eines groben Ideenpapiers für ein Community-Engagement-Projekt (Non-Profit/CSR)
  • Zusammenstellung einer kurzen Übersicht von relevanten Kennzahlen für ein Quartalsreporting im Nachhaltigkeitsbereich (Controlling/Reporting)

Warum das funktioniert

Die Aufgabe vermittelt einen unmittelbaren Eindruck im Hinblick auf tatsächlich relevante Fähigkeiten und die Arbeitsqualität.

Vorteile

  • hohe Praxisnähe
  • starke Aussagekraft
  • keine generischen, standardisierten Antworten
  • vermittelt guten Einblick in Arbeitsweise

Nachteile

  • höherer Aufwand im Vergleich zum klassischen Anschreiben (für beide Seiten)
  • erfordert gutes Case-Design
  • kann implizites Vorwissen voraussetzen
  • angemessener Zeitaufwand ist unbedingt einzuhalten (die Kandidat:innen leisten hier unbezahlte Arbeit!)
  • auch hier ist der Einsatz von KI nicht ausgeschlossen

Gut geeignet für

  • Marketing, Campaigning und Kommunikation
  • Projektmanagement
  • Beratung
  • Strategie-, Policy- und ESG-Rollen

Weniger geeignet für

  • frühe Vorselektion großer Bewerber:innen-Pools
  • Berufseinsteiger:innen ohne Praxiserfahrung
  • sehr standardisierte Tätigkeiten

4. Sprachnachricht- oder Video-Format

Einen besonders unmittelbaren Eindruck lässt sich mittels einer Sprachnachricht oder eines Kurzvideos (max. 5 Minuten Länge) einholen. Als Hilfestellung sollten dabei konkrete Fragen gestellt werden, welche die Bewerber:innen während der Aufnahme beantworten. 

Einige Arbeitgeber lassen dabei Wahlfreiheit: Die Bewerber:innen können entscheiden, welche Option sie nutzen: Klassisches Anschreiben oder Sprachnachricht/Video. 

Beispiele für Fragen:

  • Erzähl uns kurz, was dich dazu motiviert hat, dich bei uns zu bewerben.
  • Welche Rolle nimmst du üblicherweise in Teams ein?
  • Wie würdest du deinen Arbeitsstil beschreiben?
  • Erzähle kurz, was dich an dieser Position besonders reizt.
  • Welche Werte sind dir in einem Team besonders wichtig?
  • Was möchtest du, dass wir über dich wissen, das aus Lebenslauf und Stationen nicht ersichtlich ist?

Warum das funktioniert

Sprache und vor allem Video transportieren Haltung, Kommunikationsstil und Authentizität viel eindrücklicher als ein Text.

Vorteile

  • sehr persönlich
  • Glaubwürdigkeit und Authentizität 
  • Sichtbarkeit nonverbaler Kommunikation (bei Video)
  • frühzeitige Passungsprüfung für kommunikationsnahe Rollen

Nachteile

  • erfordert von vielen Kandidat:innen mehr Mut als reine Textformate
  • ungeeignet für z.B. hörbeeinträchtigte Personen
  • Für HR höherer Auswertungsaufwand als klassische Anschreiben
  • Datenschutz beachten!

Gut geeignet für

  • Kommunikationsnahe Rollen
  • Bildungs-, Trainings- oder Beratungsrollen

Weniger geeignet für

  • stark analytische oder technische Rollen
  • sehr große Bewerberzahlen

Foto von Antoine Beauvillain auf Unsplash

5. „Unperfekte“ Textformate

Eine weitere Option, die auf beiden Seiten viel Aufwand spart, sind kurze Textformate, die bewusst auf “perfekt” ausformulierte Texte verzichten, sondern auf Pointiertheit und Übersichtlichkeit setzen. Die können z.B. strukturierte Stichpunkte sein, die die Bewerber:innen zu bestimmten Fragen anfertigen.

Beispiele

  • “Formuliere in maximal 5 Stichpunkten, was dich an dieser Rolle konkret anspricht.”
  • “Nenne drei Erfahrungen, die dich gut auf diese Aufgabe vorbereiten.”
  • “Liste zwei Stärken auf, die du in dieses Team einbringst, und eine Fähigkeit, die du ausbauen möchtest.”
  • “Beschreibe in 4 Bulletpoints, wie du typischerweise an neue Aufgaben herangehst.”
  • “Nenne drei Themen aus der Stellenausschreibung, die für dich Priorität hätten.”
  • “Beschreibe in maximal 5 Bulletpoints, was für dich gute Zusammenarbeit ausmacht.”
  • “Liste zwei Situationen, in denen du besonders motiviert arbeitest – und eine, die dir schwerfällt.”
  • “Liste drei Dinge, die Kolleg:innen über dich wissen sollten, um gut mit dir zusammenzuarbeiten.”

Warum das funktioniert

Dieses Format setzt weniger auf sprachliche Inszenierung und motiviert dazu, “auf den Punkt zu kommen” und wichtige Aspekte in übersichtlicher Weise darzustellen.

Vorteile

  • niedrigschwelliges Format, das Chancenungleichheiten reduziert
  • für Bewerber:innen weniger Aufwand als klassisches Anschreiben
  • reduziert auch für Recruiter:innen den Screening-Aufwand
  • gute Vergleichbarkeit durch standardisierte Fragen und Format

Nachteile

  • wenig Raum für Nuancen
  • weniger geeignet für Storytelling
  • weiterhin anfällig für KI-Nutzung

Gut geeignet für

  • analytische Rollen
  • Quereinsteiger:innen
  • Tech-, Daten- und Fachrollen

Weniger geeignet für

  • PR, Storytelling-lastige oder kommunikationsnahe Jobs

6. Selbstgewählte Referenz

Die Bewerber:innen wählen selbst ein Projekt, eine Erfahrung oder Station aus ihrem (beruflichen oder privaten) Werdegang, auf das sie ausführlich eingehen und in Bezug setzen zur ausgeschriebenen Rolle setzen. Dies kann z.B. ein berufliches Projekt, ein Ehrenamt, eine Reise oder ein Lernerlebnis sein. Die Ausformulierung sollte dabei auf max. 1 Seite begrenzt werden.

Beispiele für die Aufgabenstellung:

  • “Beschreibe anhand eines konkreten Beispiels aus einer deiner vorherigen beruflichen Rollen, wie du mit Unsicherheiten oder unerwarteten Veränderungen umgehst.”
  • “Erzähle uns von einem deiner Projekte, auf das du besonders stolz bist – egal, ob berufliche Aufgabe, Ehrenamt oder privates Projekt.”
  • “Erzähle über eines deiner Vorhaben, das nicht so lief wie erwartet – wie bist du damit umgegangen und was konntest du rückblickend daraus lernen?”
  • “Stelle uns eine Erfahrung oder ein Projekt (egal ob beruflich oder privat) vor, das dich persönlich oder fachlich ganz besonders geprägt hat.”
  • “Erzähle uns von einem Projekt (z.B. beruflich oder ehrenamtlich), bei dem du das Gefühl hattest, besonders wirksam für dein Umfeld, deine Organisation oder deine Community zu sein.”

Warum das funktioniert

Da die Kandidat:innen frei wählen dürfen, was sie erzählen möchten, entstehen authentische Eindrücke zu Erfahrungen, die ihnen tatsächlich etwas bedeuten. Hier stehen nicht sprachlich perfekte Floskeln, sondern Motivation, Herzblut und Selbstreflexion im Vordergrund.

Vorteile

  • frei wählbare Komponente mit Fokus auf positiven Erfahrungen aktiviert intrinsische Motivation
  • weniger Floskeln und Standardphrasen, sondern persönliche Geschichte
  • vermittelt guten Eindruck in Bezug auf Fähigkeit zur Selbstreflexion
  • weiterhin anfällig für KI-Nutzung, wenngleich die beschriebenen Situationen inhaltlich eine stark persönliche Komponente beibehalten

Nachteile

  • eingeschränkte Vergleichbarkeit der Einreichungen
  • manche Bewerber:innen tun sich mit persönlicher Offenheit schwer

Gut geeignet für

  • sinnorientierte Rollen
  • Non-Profit- und Bildungsbereich

Weniger geeignet für

  • stark standardisierte Rollen

7. Vorab-Kurzgespräch 

Statt einer schriftlichen Vorselektion kann diese auch über einen kurzen persönlichen Austausch (Telefonat oder Videocall) erfolgen. Das Erstgespräch sollte jedoch kein vollumfängliches Job Interview sein und maximal 15 Minuten umfassen. Inhaltlich sollte der Fokus auf z. B. 3 standardisierte Fragen und die Klärung offener Fragen in Bezug auf den Lebenslauf oder wichtige Rahmenbedingungen (etwa Wohnort, Arbeitsumfang, zeitliche Verfügbarkeit etc.) gelegt werden.

Beispiele für standardisierte Fragen:

  • Welche Aspekte der Rolle findest du aktuell besonders spannend?
  • Wie sieht dein derzeitiger Arbeitskontext aus?
  • Welche Erfahrungen bringst du mit, die für diese Rolle besonders relevant sind?
  • Welche Aufgaben machen dir in deinem aktuellen oder letzten Job am meisten Freude?
  • Welche Aufgaben möchtest du künftig weniger bzw. mehr übernehmen?
  • Welche Rahmenbedingungen brauchst du, um gut arbeiten zu können?
  • Gibt es etwas in deinem Lebenslauf, das du gern kurz einordnen oder erklären möchtest?
  • Gibt es etwas, das wir aus deiner Sicht frühzeitig wissen sollten?

Warum das funktioniert

Der persönliche Austausch ist natürlich am besten geeignet, um einen authentischen Eindruck von den Bewerber:innen zu erhalten – das klappt auch online/telefonisch und in kurzer Zeit sehr gut. 

Vorteile

  • unmittelbarer Eindruck bzgl. Kommunikationsstil, Ausstrahlung und persönlicher Passung
  • offene Fragen können sehr schnell geklärt werden

Nachteile

  • zeitintensiv, auch durch zusätzlichen Aufwand für Terminorganisation
  • nicht gut skalierbar

Gut geeignet für

  • werteorientierte Organisationen
  • kleine Teams mit viel persönlicher Nähe

Weniger geeignet für

  • sehr hohe Bewerber:innen-Zahlen

Auswahl geeigneter Formate

Keine der vorstellen Methoden ist per se überlegen. Entscheidend ist die bewusste Auswahl im Hinblick auf:

  • Rolle
  • Zielgruppe
  • Werte des Unternehmens
  • verfügbare Ressourcen

Gerade im Nachhaltigkeits- und Sinnsektor, in dem Authentizität, Haltung und Lernbereitschaft zentral sind, vermitteln diese Formate jedoch oft einen besseren Eindruck als klassische Anschreiben.

Hier eine kleine Entscheidungshilfe zur Auswahl der passenden Methode:

1. Was willst du in dieser Phase herausfinden?

  • Motivation & Interesse verstehen: Besonders geeignet sind kurze Reflexionsfragen, Sprach- oder Videonachricht oder kurzes telefonisches Erstgespräch
  • Vergleichbarkeit & schnelle Vorauswahl ermöglichen: Besonders geeignet sind ein strukturierter Fragebogen oder Bulletpoint-Formate 
  • Arbeitsweise & Denklogik prüfen: Besonders geeignet sind Mini-Case, kleine Arbeitsprobe oder selbstgewählte Referenz
  • Passung & Erwartungen klären: Besonders geeignet sind telefonisches Erstgespräch oder Sprach-/Videonachricht

2. Wie viele Bewerbungen erwartest du?

  • Gut skalierbare Formate für hohes Bewerbungsaufkommen: Strukturierter Fragebogen, Bulletpoint-Formate oder Mini-Case 
  • Bei eher kleinen Bewerber:innen-Zahlen: Reflexionsfragen, telefonisches Erstgespräch, selbstgewählte Referenz

3. Wie komplex ist die Rolle?

  • Gut für stark kommunikative / konzeptionelle Rollen: Sprachnachricht oder Video, Mini-Case, Arbeitsprobe
  • Gut für analytische / fachlich stark spezialisierte Rollen: Strukturierter Fragebogen, Bulletpoints, fachbezogene Mini-Cases
  • Operative oder stark standardisierte Rollen: Kurze strukturierte Fragen, telefonisches Erstgespräch (Verzicht auf umfangreiche Texte)

4. Welche Haltung willst du als Arbeitgeber zeigen?

  • Fokus auf Fairness & Inklusion: Begrenzte Antwortlängen, Wahlmöglichkeiten zwischen Formaten
  • Fokus auf Dialog & Beziehung: Frühzeitiges Erstgespräch, Audioformate, persönliche Reflexionsfragen
  • Fokus auf Effizienz & Struktur: Strukturierter Fragebogen, klar definierte Mini-Cases, standardisierte Bewertungskriterien

Bewährte Kombinationen aus der Praxis

Besonders wirksam sind Kombinationen, z. B.:

  • Reflexionsfrage + strukturierter Fragebogen
  • Strukturierter Fragebogen + Mini-Case für Shortlist
  • Bulletpoints + kurzes Erstgespräch

So lassen sich Authentizität, Fairness und Effizienz miteinander verbinden.

Merksätze: 

  • Je früher im Prozess, desto niedrigschwelliger.
  • Je größer der Bewerber:innen-Pool, desto strukturierter.
  • Je später im Prozess, desto konkreter und rollenbezogener das Format.

Foto von Getty Images auf Unsplash

KI-Anschreiben als Pluspunkt? Eine differenzierte Betrachtung

Trotz berechtigter Kritik am klassischen Anschreiben und aller Vorzüge von alternativen Formaten: Die Grundannahme, dass ein Anschreiben, bei dem Ki mit im Spiel war, grundsätzlich jegliche Aussagekraft einbüßt, darf hinterfragt werden. 

Denn ein gut gemachtes (!), reflektiert eingesetztes (!) KI-Anschreiben kann durchaus auch als positives Zeichen von digitaler Kompetenz interpretiert werden.

Wenn ein Anschreiben erkenntlich gut strukturiert, präzise formuliert und auf die Anforderungen der Stelle zugeschnitten ist, dann kann dies – trotz KI-Unterstützung – zeigen, dass die/der Bewerber:in in der Lage ist, digitale Technologien sinnvoll zu nutzen. Gerade in Bereichen, in denen digitale Tools, Datenanalyse oder automatisierte Prozesse Teil des Arbeitsalltags sind oder künftig werden, kann dies sogar als Indikator für berufliche Eignung gewertet werden. Wer KI sinnvoll und kompetent einsetzt, muss beispielsweise die richtigen Fragen formulieren, die Vorschläge kritisch prüfen, anpassen und personalisieren. All dies erfordert Strukturierungs- und Reflexionskompetenz und die Fähigkeit, mit der KI zu arbeiten statt deren Ergebnisse ungefiltert zu copy-pasten. Wer KI als Denk- und Strukturhilfe einsetzt und Inhalte kritisch prüft, zeigt genau jene Fähigkeiten, die in vielen Jobs zunehmend relevant sind.

Dennoch ist die Nutzung von KI kein Freifahrtschein. Ein vollständig KI-generiertes, unkritisch übernommenes Anschreiben bleibt problematisch, weil es kaum Rückschlüsse auf die Persönlichkeit, Motivation oder individuelle Erfahrung der Bewerber:innen zulässt. Die Herausforderung für Recruiter:innen besteht darin, zwischen unreflektierter Nutzung und gezieltem, kompetentem Einsatz zu unterscheiden. Ein gut gemachtes KI-Anschreiben, das zusätzlich von individuellen Erfahrungen, konkreten Beispielen oder persönlichen Reflexionen ergänzt wird, kann somit Authentizität und digitale Kompetenz zugleich transportieren.

Es ist also nicht die Technologie selbst, die kritisch bewertet werden sollte, sondern die Art und Weise, wie sie eingesetzt wird. Letztlich eröffnet die differenzierte Betrachtung von KI-Anschreiben die Möglichkeit, den Blick von reiner Formalbewertung hin zu einer Kompetenzbewertung zu erweitern. Es fordert Recruiter:innen zugleich heraus, Bewertungsmaßstäbe zu überdenken, die stark an traditionellen Schreib- und Ausdrucksformen orientiert sind, und neue Kriterien wie digitale Reflexionsfähigkeit, kritische Nutzung von Tools und Anpassungsfähigkeit in den Auswahlprozess zu integrieren. 

Fazit: Weniger Texte, mehr Erkenntnis

Die zentrale Frage lautet nicht: „Wie verhindern wir KI-Anschreiben?“, sondern: „Welche Informationen brauchen wir wirklich, um gute Entscheidungen zu treffen?“

Authentische Eindrücke entstehen selten durch perfekt formulierte Texte. Sie entstehen durch klug gestaltete Prozesse, ehrliches Interesse und Formate, die Menschen ermöglichen, sich jenseits von Floskeln zu zeigen.

Gerade im Nachhaltigkeits- und Sinnsektor, wo Haltung, Lernbereitschaft und Motivation zählen, lohnt es sich, Bewerbungsprozesse neu zu denken – pragmatisch, fair und zeitgemäß.

Mehr zum Thema Recruiting New Work KI (Künstliche Intelligenz)
Keine Artikel (und Jobs) verpassen! Den berühmten NachhaltigeJobs-Newsletter kostenlos abonnieren:
Der berühmte (& kostenlose!)
NachhaltigeJobs-Newsletter  
  Ausblenden

Melde dich für unseren NachhaltigeJobs-Newsletter an und verpasse keine spannenden Jobs und Neuigkeiten mehr!
1x pro Woche vollgepackt mit aktuellen Infos: