Wer sorgt, verliert? – Wie das Startup equaly mit smarten Tools und politischem Anspruch eine gerechte Verteilung von Care-Arbeit fördert

Warum halten sich selbst bei jungen, modernen Paaren traditionelle Rollenmuster oft so hartnäckig? Und wie lassen sich unsichtbare, unbezahlte Aufgaben wie Haushalt und Kinderbetreuung endlich fair aufteilen? Gleichberechtigung ist weit mehr als ein privates Thema. Im Interview spricht equaly-Mitgründerin Louisa Plasberg über die größten strukturellen Hürden bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, welche Bausteine es braucht, um festgefaherene Verhaltensmuster aufzubrechen – und darüber, wie equaly Paare und Unternehmen mit digitalen Tools und viel Augenhöhe genau dabei unterstützt.

von Charlotte Clarke, 16. Juni 2025 um 15:12

Mehr als eine private Angelegenheit: Ursachen und Folgen des Gender Care Gaps

Mit eurem Startup equaly verfolgt ihr die Mission, den sog. Gender Care Gap zu schließen und somit zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beizutragen. Was konkret vertsteht man unter dem Gender Care Gap? 

Louisa Plasberg: Der Gender Care Gap beschreibt den Unterschied, wie viel Zeit Frauen vs. Männer mit Sorgearbeit – also z.B. Kochen, Putzen, Waschen, Kinder betreuen – verbringen. In Deutschland sind das im Schnitt 9 Stunden pro Woche, die Frauen mehr leisten. Das ist mehr als ein ganzer Arbeitstag. Care-Arbeit ist unsichtbar und unbezahlt – deshalb setzen wir uns für eine fairere Verteilung ein.

Was sind die Ursachen dafür, dass selbst junge, emanzipierte Paare – insbesondere wenn Kinder zur Welt kommen – eine Rollenverteilung wie in den 50er Jahren leben? Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich die meisten wirklich bewusst dafür entscheiden. Es spricht daher vieles dafür, dass es äußere Rahmenbedingungen gibt, die eine gerechte Verteilung von Sorgearbeit erheblich erschweren.

Louisa: Dafür gibt es mehrere Ursachen. Zwei der wichtigsten sind Prägung und Geld. Also einerseits unsere Sozialisierung: Viele (auch junge) Menschen haben in ihrem Elternhaus noch eine eher klassische Rollenverteilung erlebt. Das prägt – auch wenn nur unterbewusst. Hinzu kommt die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen: Solange Frauen deutlich weniger verdienen, können und wollen es sich viele Familien nicht leisten, dass die Väter länger im Job ausfallen oder auf Teilzeit reduzieren.

Welche gesellschaftlichen und individuellen Herausforderungen und Nachteile bringt der Gender Care Gap mit sich?

Louisa: Der krasseste individuelle Nachteil ist die sogenannte “Motherhood Penalty”: Frauen verlieren, wenn sie Mutter werden, bis zu 70 % ihres gesamten Lebenseinkommens – durch jahrelange Teilzeit und Unterbrechungen in der Erwerbsbiographie. Deshalb lohnt es sich für viele Paare, durchzurechnen, ob sich langfristig nicht doch eine gleichberechtigte Care-Arbeit auch finanziell lohnt, weil beide ihre Karriere fortsetzen können. Wir hören aber auch von vielen Vätern, dass sie gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen würden und durch die ungleiche Aufteilung etwas verpassen – das ist ein weiterer Nachteil.

Gesellschaftlich ist der größte Nachteil das verlorene Potential im Kampf gegen den Fachkräftemangel: Würden Mütter und Väter genau so viele Wochenstunden arbeiten, wie sie sich wünschen (also Mütter ein paar Stunden mehr im Job, Väter ein paar Stunden weniger), hätten wir 325.000 zusätzliche Vollzeitkräfte gewonnen.

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Wie equaly mehr Vereinbarkeit schaffen will

Mit welchen konkreten Angeboten unterstützt Paare dabei, die Sorgearbeit gerecht aufzuteilen?

Louisa: Mit der equaly-Mitgliedschaft können Paare in unserer App Aufgabenpakete verteilen, sich in Live-Sessions zum Thema Vereinbarkeit, Familienfinanzen und Mental Load informieren und regelmäßige Paar-Check-Ins machen. Wir bieten aber vor allem auch Coaching-Kontingente und Impuls-Reihen sowie Vereinbarkeitsssupport über Arbeitgeber an.

© equaly GmbH
Routinen und Gewohnheiten, die - in vielen Fällen über Jahre hinweg - den Alltag geprägt haben, sind äußerst hartnäckig und alles andere als einfach zu verändern. Bei equaly arbeitet ihr ja mit diversen “Bausteinen”, z.B. Sensibilisierung und Wissensvermittlung, Coaching, Reflexionsimpulse und einem Tool, welches geleistete Sorgearbeitsstunden konkret sichtbar macht. Was hat eurer Erfahrung nach die größte Kraft für Veränderung? Oder ist es immer ein Mix aus mehreren Werkzeugen?

Louisa: Wir denken im Privaten immer in drei Bausteinen: Sichtbarkeit, Verantwortlichkeiten, Kommunikation. Also zeigen, was ansteht und wer was macht, klare Aufgabenpakete verteilen und regelmäßig einchecken. So kann man langfristig Routinen verändern. Die größte Veränderung setzt meistens nach 3-6 Monaten ein, dann spielt sich ein neues Setup gut ein.

Welche Rolle spielen Unternehmen für mehr Gleichstellung in der Care-Arbeit?

Louisa: Bei Arbeitgebern geht es vor allem um eine gute Begleitung von Elternzeiten und dem Wiedereinstieg, sowie um eine vereinbarkeitsfreundliche Kultur. Das heißt: Es braucht nicht nur viel Flexibilität (z.B. bei Arbeitszeiten) und klare Prozesse, sondern auch eine Kultur, in der vorgelebt wird: Wir verstehen, du hast mehrere Rollen im Leben und wir unterstützen dich, dass du in deinen verschiedenen Lebensbereichen erfolgreich sein kannst.

Neben euren Angeboten für Paare arbeitet ihr auch mit Unternehmen zusammen, um Themen wie Diversity und Vereinbarkeit stärker in der Organisationskultur zu verankern. Mit welchen konkreten Tools arbeitet ihr im unternehmerischen Kontext?

Louisa: Wir bauen Elternzeit-Programme und Eltern-Netzwerke auf und bieten Vortragsreihen zu Themen wie Vereinbarkeit im Privaten, Mental Load, Sichtbarkeit bei Teilzeit und Allyship an. Außerdem bieten wir Coaching-Kontingente insbesondere rund um die Schnittstelle Elternzeit und Wiedereinstieg, sowie Führungskräfte-Trainings mit Bezug zur vereinbarkeitsfreundlichen Kultur an. Es geht darum, das Thema holistisch zu betrachten und auch die Bedürfnisse der Mitarbeitenden konkret zu verstehen. Denn meistens wissen die Mitarbeitenden schon ziemlich gut, was ihnen wirklich helfen würde, um mehr Vereinbarkeit zu erfahren.

Was unterscheidet euch von klassischen Beratungen oder HR-Angeboten zum Thema Vereinbarkeit?

Louisa: Wir sind stark mit dem Thema Care-Arbeit und moderne Elternschaft assoziiert – wir helfen Arbeitgebern dabei, Modelle zu entwickeln, die zu den Bedürfnissen der jüngeren Eltern-Generation passen. Wir kombinieren des weiteren Analysen mit konkreten Maßnahmen und unseren digitalen Tools und bieten so flexible Maßnahmen an.

Gleichberechtigte Karrieren

Wie definiert ihr "gleichberechtigte Karrieren"?

Louisa: Hier geht es vor allem um Wahlfreiheit: Kann ich unabhängig von meinem Geschlecht wählen, welche Rollen ich zuhause und im Job einnehmen möchte? Möchte ich z.B. mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen, oder in die neue Führungsrolle gehen? Das immer wieder neu reflektieren und verhandeln zu dürfen – zuhause in der Partnerschaft und beim Arbeitgeber, darum geht es beim Thema “gleichberechtigte Karrieren”.

Inwiefern versteht ihr euch als feministisches Startup?

Louisa: Wir sind überzeugt, dass mehr Vereinbarkeit allen – unabhängig vom Geschlecht – zugutekommt. Und dass gleichzeitig ein großer Hebel für mehr Gender Equality genau darin liegt. Wenn mit Feminismus also vor allem Gleichberechtigung gemeint ist, dann klar: ja!

Die Geschichte hinter equaly

Wie haben du und deine Mitgründerin Ronja Hoffacker zueinander gefunden? Welche persönlichen Erfahrungen mit Care-Arbeit oder Vereinbarkeit eure Motivation zur Gründung von equaly geprägt?

Louisa: Ich habe vor equaly unter anderem im Bundestag gearbeitet und mich in meinem Public Policy-Studium schon immer mit gesellschaftspolitischen Herausforderungen beschäftigt. Ich wollte der Frage, wie Care-Arbeit, Fachkräftemangel und Gleichberechtigung zusammenhängen, nachgehen. Deshalb bin ich losgezogen und habe Paare interviewt, die die Care-Arbeitsaufteilung für sich gelöst hatten. Um zu verstehen, was ihr Erfolgsrezept ist – und so equaly zu bauen. Und dabei habe ich Ronja kennengelernt.

Ronja hatte zu der Zeit gerade ihre Tochter bekommen und war in Elternzeit von ihrem Job als Unternehmensberaterin. Sie hat sich die Care-Arbeit mit ihrem Partner 50/50 geteilt. Ronja wurde damals häufig aus ihrem Umfeld angesprochen – insbesondere von Frauen – weil sie von Beginn an freie Abende hatte, an denen sie alleine unterwegs war und ihr Partner die Tochter ins Bett gebracht hat. Da ist ihr klar geworden, dass diese Freiheiten als Mutter für viele nach wie vor keine Selbstverständlichkeit sind. Und so wurde sie zu meiner Mitgründerin.

Was war bislang im Rahmen Erfahrungen als Gründerinnen das größte Highlight, auf das ihr besonders stolz seid? Was ist euer nächster wichtiger Meilenstein für die Zukunft?

Louisa: Ein Highlight ist definitiv die Tatsache, dass wir inzwischen mit über 25 Arbeitgebern zusammenarbeiten, darunter mehrere DAX-Unternehmen, was uns ermöglicht, unsere Mission in die Breite tragen zu können. Und natürlich unser Auftritt bei “Die Höhle der Löwen” – das war unglaublich spannend. Für die Zukunft wollen wir noch mehr in den Mittelstand. Wenn wir unseren Job richtig gut machen, dann braucht es Lösungen wie equaly in 10 oder 20 Jahren hoffentlich gar nicht mehr. Denn dann ist eine starke Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer “das neue Normal”. Wenn wir dazu gemeinsam mit starken Arbeitgebern und unzähligen Eltern einen Riesen-Beitrag leisten können, haben wir alles erreicht.

Über Louisa Plasberg und equaly

© equaly GmbH
Louisa Plasberg ist Co-Gründerin und Geschäftsführerin von equaly. Sie kommt aus der Politik, hat im Bundestag gearbeitet und Politik und VWL in Deutschland (Mannheim, Berlin) und den USA (Harvard, Columbia) studiert.

equaly ist ein 2023 in Berlin von Louisa Plasberg und Ronja Hoffacker gegründetes Startup, das sich für Gender Equality, eine faire Arbeitsverteilung und mehr Vereinbarkeit einsetzt. Mit Insights aus Gesprächen mit über 1.500 Paaren und Kooperationen mit mehr als 25 Arbeitgebern aus DAX, Mittelstand und dem öffentlichen Sektor, entwickelt equaly praxisnahe Lösungen für Unternehmen und Familien für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das mehrfach ausgezeichnete Team – unter anderem als eines der Top 20 Startups 2024 vom Bundeswirtschaftsministerium – spricht außerdem auf Konferenzen, Panels und in Unternehmens-Keynotes, um über das Thema aufzuklären.

Neugierig geworden? Mehr erfährst du auf der Webseite von equaly.

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