Mehr Jobs für Menschen mit Behinderungen in der Startup-Szene: »Wenn von Anfang an Menschen mit Behinderung dabei sind, ist es auch in späteren Phasen des Wachstums nicht schwierig, weitere einzustellen.«

Menschen mit Behinderungen haben es nicht leicht, auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden. Ganz besonders stark lässt sich dieser Trend bei Startups beobachten. Denn gerade junge Unternehmen haben das Thema Inklusion während der arbeitsintensiven Gründungsphase oftmals einfach nicht auf dem Schirm. Inklupreneur verbindet deshalb Menschen mit Behinderungen mit jungen Unternehmen, die neue, inklusive Arbeitsplätze schaffen möchten. Wir haben mit Nils Dreyer, dem Leiter dieses Projekts, darüber gesprochen, wie das funktioniert.
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von Jana Hansl, 24. Juni 2022 um 10:31

Was genau ist Inklupreneur und wie kam es zur Idee dieses Projekts? Habt ihr einen persönlichen Bezug zum Thema Inklusion?

Inklupreneur ist ein Projekt, das aus der Hilfswerft gGmbH entstanden ist und verbindet die Themen Inklusion und Entrepreneurship (Unternehmertum). Bei der Hilfswerft arbeiten wir schon lange daran, Social Entrepreneurship mit unseren Bildungsformaten zu verbreiten und möglichst vielen Menschen den Ansatz des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens nahe zu bringen. Dabei orientieren wir uns immer an den Sustainable Development Goals (SDGs), zu denen auch der Abbau von Ungleichheiten und damit Inklusion gehört. Irgendwann haben wir dann bemerkt, dass vor allem Startups sich leider nur wenig mit dem Thema Inklusion auseinandersetzten und es kaum oder keine Angebote für diese Zielgruppe gibt, obwohl gerade in der frühen Phase eines Unternehmens die besten Chancen bestehen, Inklusion in die DNA eines Unternehmens einzuflechten. Wenn von Anfang an Menschen mit Behinderung dabei sind, ist es auch in späteren Phasen des Wachstums nicht schwierig, weitere einzustellen.


Welche Art von Startups / jungen Unternehmen können mitmachen und welchen Benefit gewinnen die Startups durch ihre Teilnahme? Wozu committen sich die teilnehmenden Startups und was genau hat es mit eurer »Pledge« auf sich?

Angefangen haben wir nur mit Startups, also mit wirklich noch kleinen Unternehmen. Das Interesse an unserem Programm war aber groß, so dass auch größere Unternehmen auf uns zukamen. In unser zweiten Berliner Kohorte haben wir nun schon Größen wie MBition, eine Daimler-Tochter, HelloFresh, Deutsche Welle, Fröbel und idealo dabei. Die teilnehmenden Unternehmen lernen von uns, worauf es bei der Inklusion im Arbeitsleben ankommt. Meistens ist tatsächlich keine Vorerfahrung da, weshalb viele bei Null anfangen. Aber dafür sind wir da. Wir nehmen die Unternehmen auf Augenhöhe mit und begleiten sie durch unseren Prozess. Angefangen mit einem StarterCamp mit der gesamten Kohorte, in dem eine grundlegende und individuelle Inklusionsstrategie erarbeitet wird. Im Anschluss geht es dann in unseren wöchentlichen 1-zu-1-Coachings um die konkreten Themen und es gibt weitere Impulse und einen monatlichen Austausch bei unserem Community Meeting. Nach sechs bis neun Monaten ist die intensive Betreuung dann vorbei, aber wir bleiben natürlich mit den Unternehmen in Kontakt. Den nötigen fachlichen Input holen wir uns von externen Expert:innen aus unserem Netzwerk und einen sehr wertvollen Beitrag leisten auch unsere Mentor:innen, die alle selbst mit Schwerbehinderung leben und immer wieder Feedback aus ihrer Perspektive schildern und konkrete Tipps geben.

Das alles ist aktuell für die Unternehmen kostenlos, weil wir als Modellvorhaben durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) finanziert werden. Alles was sie tun müssen, um dabei zu sein, ist den Pledge zu unterzeichnen, wobei sie sich ein selbst gewähltes Ziel setzen, wie viele Arbeitsplätze sie in ihrem Unternehmen inklusiv besetzen wollen. Auf dem Weg dahin unterstützen wir.


Teil von Inklupreneur ist auch eine Jobbörse, die Menschen mit Behinderung aktiv für die Stellensuche nutzen können. Was genau zeichnet diese Jobs aus, dass sie sich besonders für Menschen mit Behinderungen eignen?

Die Jobs selbst unterscheiden sich in der Regel nicht grundsätzlich von »normalen« Stellen. Der Unterschied ist aber, dass die Jobs auf unserer Jobbörse alle von unseren Inklupreneur-Unternehmen ausgeschrieben sind, die unser Programm durchlaufen haben bzw. das gerade tun. Sie sind also sehr für das Thema Inklusion sensibilisiert und können schneller und besser auf die Bedarfe von Bewerber:innen mit Behinderung eingehen und wollen das auch aktiv tun. Einige Jobs sind auch extra für Menschen mit Lernschwäche oder geistiger Behinderung durch das sogenannte »Jobcarving« geschnitzt. Im Einstellungsprozess unterstützen wir auch weiter, um ggf. nötige Fördermittel zu beantragen und den Arbeitsplatz bedürfnisorientiert auszustatten. 


Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt? Was muss sich aus eurer Sicht hier auch auf politischer Ebene tun, um diese zu bewältigen?

Auf der politischen Ebene sollte hinterfragt werden, ob die Ausgleichsabgabe noch die gewünschte Steuerungswirkung hat - wenn aktuell fast ein Viertel der Unternehmen lieber eine Strafzahlung in Kauf nimmt als selbst Menschen mit Behinderung zu Beschäftigen. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist ja ein Menschenrecht, da ist es schon fragwürdig, dass man sich als Unternehmen davon freikaufen kann.

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Warum habt ihr euch gerade die Startup-Szene ausgesucht? Woran liegt es, dass gerade hier anscheinend so wenig Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden?

Der Hauptgrund für die niedrige Beschäftigung ist, dass die jungen Unternehmen das Thema gar nicht auf dem Schirm haben – und das meist unbewusst. Dazu kommt, dass in der frühen Phase viele andere Themen wichtiger sind, wie z.B. die Etablierung eines Geschäftsmodells. Inklusion ist einfach ein blinder Fleck und der vermutete bürokratische Dschungel schreckt davon ab, sich damit zu beschäftigen. Hier knüpfen wir an und erleichtern das Überwinden dieser Hürden. Wir stellen geballtes Wissen bereit und knüpfen direkte Kontakte zu den wichtigen Institutionen. So können junge Unternehmen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und trotzdem von Anfang an eine inklusive Arbeitskultur aufbauen und im besten Fall direkt die Ausgleichsabgabe umgehen und von den positiven Synergien eines inklusiven Teams profitieren.


Was können Menschen mit Behinderungen konkret tun, um bei der Jobsuche erfolgreich zu sein? Habt ihr konkrete Tipps für Bewerber:innen, die nicht genau wissen, wie sie ihre Behinderung im Bewerbungsprozess kommunizieren wollen oder ob das überhaupt sinnvoll ist?

Ich kann an dieser Stelle nur für die Unternehmen in unserem Programm sprechen: diese sind sehr offen für Bewerbungen von Menschen mit einer Behinderung! Gerade haben wir eine Auswertung gemacht aus der hervorgeht, dass 50% aller Bewerber:innen mit Behinderung auch zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden, statistisch wurde jede:r vierte Bewerber:in eingestellt. Ich finde, diese Zahlen machen Mut, offen mit dem Thema umzugehen.


Wo finden Unternehmen, die aktiv mehr Mitarbeitende mit Behinderungen einstellen möchten, Informationen über Möglichkeiten und Förderungen?

Wir versuchen selbst in unserem Blog und Newsletter aus unseren Erfahrungen zu berichten - schaut doch mal vorbei. Eine gute Quelle, die wir viel nutzen, ist rehadat.


Wie sieht eure Zukunftsvision aus - sowohl für das Projekt Inklupreneur, als auch für die Zukunft der Inklusion an sich? Wie würde eine Arbeitswelt aussehen, in der das Thema der Inklusion möglichst erfolgreich umgesetzt ist?

Kurzfristig ist es unser Ziel, den teilnehmenden Unternehmen noch mehr Bewerber:innen zu vermitteln – aktuell bleiben noch zu viele Stellen unbesetzt oder werden (aus Mangel an Alternativen) an Menschen ohne Behinderung vergeben. Aus diesem Grund bauen wir aktuell einen inklusiven Talentpool auf. Mittelfristig wollen wir aus Inklupreneur ein bundesweites Angebot machen. Wir starten als nächstes in dem Bundesland, aus dem wir mind. zehn »Pledges« erhalten. Langfristig arbeiten wir, wie viele Social Businesses, daran, uns selbst überflüssig zu machen. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. 

Photo by Michael Bahlo


Über Nils Dreyer und Inklupreneur:

Nils Dreyer ist Serien-Gründer und Wirkungs-Investor. Mit einer Online-Quiz-Community, die bereits Ende der 90er-Jahre einen Crowdsourcing-Ansatz verfolgte, begann er seine Gründerlaufbahn. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Uni Witten/Herdecke startete er 2007 eine Online-Expertenvermittlung im B2B-Bereich, woraus später die Contentmarketing-Agentur Textprovider und wenige Jahre später die Agenturgruppe Collective IQ wurde. Der persönliche Umbruch kam mit der Erkenntnis, dass es nicht nur Geld braucht, um auch langfristig glücklich zu sein. Ende 2014 gründet er deshalb die Hilfswerft gGmbH in Bremen. Als geschäftsführender Gesellschafter verfolgt er das Ziel, gesellschaftliches Unternehmertum (Social Entrepreneurship) deutschlandweit zu verbreiten. Mittels Aktivierungsformate sowie Camps zur sozialen Unternehmensführung an Unis und Hochschulen, treibt er diesen Ansatz stetig voran. Aktuell arbeitet Nils Dreyer mit seinem Team daran, Inklusion in die Berliner Gründerszene zu bringen. Mit dem Modellprojekt Inklupreneur möchte er gemeinsam mit dem LAGeSo Berliner Startups und Grownups dazu aktivieren, sich zu mehr Inklusion zu verpflichten. Sein Motto: Hilfe zur Selbsthilfe geben, um die eigenen Projekte überflüssig zu machen. 

In diesem Blogbeitrag berichtet Nils Dreyer über seine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema Inklusion.

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